Sonntag, 1. Juni 2014
Europa hat nicht Rechts gewählt, Europa hat Protest gewählt
Die Europawahl 2014 ist geprägt von massiven Verschiebungen in dervParteienlandschaft. Marine Le Pen wird mit Ihrem Front National stärkste Kraft in Frankreich, in Griechenland gewinnt die linksradikale Syriza von Alexis Tsipras, in England gewinnt die UKIP von Nigel Farage, eine rechtspopulistische, europafeindliche Partei, und in Deutschland holt
die Alternative für Deutschland (AfD) sieben Prozent. Sind all die Wählerinnen und Wähler rechtsradikal? Die klare Antwort lautet: Nein. Die schlimmsten Ergebnisse kamen aus Frankreich und Ungarn. In Ungarn hat Viktor Orbáns rechtskonservative Fidesz die absolute Mehrheit mit gut 51% der Stimmen geholt, die absolut rechtsradikale Jobbik unglaubliche 14%. Dass ein Land wie Ungarn mit solch einer Führungselite Mitglied der Europäischen Union ist, ist kaum zu glauben. Massive Einschnitte bei der Pressefreiheit, Sinti und Roma werden durch das Land
gejagt, wo ist da die EU und zeigt klare Kante?

Kommen wir nun aber mal zur allgemeinen Lage nach der Europawahl zurück und blicken auf Deutschland. Gewinner der Wahl sind die SPD und die AfD.
Verlierer die CSU und die FDP. Soweit die Fakten. Während die SPD deutlich über sechs Prozent dank Ihres allgemein hoch angesehenen und insgesamt beliebteren Spitzenkandidaten auf 27,3% zulegen konnte, hat die AfD massiv bei den Unionsparteien Stimmen abgefischt. Gut 530.000 Wählerinnen und Wähler sind von der Union zur AfD gewechselt. Diese
Partei wird größtenteils nicht wegen ihrer Inhalte gewählt, sondern weil die Menschen die etablierten Parteien satt haben und unzufrieden sind,
somit aus reinem Protest und aus Prinzip AfD wählen. Bei ZEIT Online wurde beschrieben: „Nicht überall sind diese Kräfte vergleichsweise harmlos und so marginal, wie es die Alternative für Deutschland bei uns ist. In Großbritannien hat eine Partei gewonnen, die eben nicht nur aus der EU austreten will, sondern auch die Zumutungen der multikulturellen,
sexuell liberalen Gesellschaft loswerden möchte. Was man natürlich wollen kann, was der Wirklichkeit aber Gewalt antut.“ Ein sehr treffender Satz. Die AfD ist allerdings für mich auch keine liberale Partei.

Und die CSU? Die CSU hat ganz rechts geblinkt, möchte aber eine Partei der Mitte sein. Das ist aber gründlich in die Hose gegangen. Mit Parolen
wie „Wer betrügt, der fliegt!“ wollte man keine Wählerinnen und Wähler zur AfD verlieren. Die sagten sich aber, dann wähle ich doch lieber das Original, die AfD. Kanzlerin Merkel sagte kurz vor der Wahl: „Die EU ist keine Sozialunion.“. Aua. Denkbar schlechter Moment, auch das hat wieder einige Stimmen gekostet. Die Union hat mit David McAllister einen
durchaus smarten Spitzenkandidaten gehabt, allerdings plakatierte man zumeist Angela Merkel. Eine seltsame Art, „Wahlkampf“ zu führen. Die SPD
hat Martin Schulz plakatiert, allerdings - wie ich finde - auch mit einer unglücklichen Formulierung: „Damit ein Deutscher Kommissionspräsident wird.“ Eine heikle Angelegenheit, diese Wortwahl. Der einzig echte Aufreger in einem mal wieder absolut langweiligen
Wahlkampf war der Ausraster Steinmeiers auf dem Alexanderplatz. So etwas kommt gut an bei der Bevölkerung, da wurde mal nicht rumgesülzt, da
wurde Klartext geredet! Laut Statistiken und Daten der ARD ist Außenminister Steinmeier mit starken 75% Zufriedenheit beliebtester Politiker Deutschlands noch vor Merkel mit 67%. Sowieso steht die GroKo
mittlerweile ganz ordentlich da in der Bevölkerung.

Es bleibt festzustellen, dass trotz einer gestiegenen Wahlbeteiligung nicht mal mehr die Hälfte der deutschen Bürgerinnen und Bürger es für nötig gehalten hat, ihre Stimme abzugeben. In Slowenien und Polen waren es gar gut 80%! Da fragt man sich, ob einige überhaupt noch wissen, dass wir in einer Demokratie leben. Günther Nonnenmacher führt in seinem Kommentar auf der Onlineseite der FAZ aus: „Etwas „weniger Europa“, zum Preis einer stärkeren Differenzierung innerhalb der EU, könnte am Ende
sogar mehr Europa, jedenfalls ein besseres Europa bedeuten, ein Europa, das sich endlich auf seine Kernaufgaben beschränkt.“. Recht hat der Mann. Kein TTIP, wo die Standards in der Lebensmittelindustrie herabgesetzt werden, regionale Entscheidungen wieder mehr zulassen (vor Ort erfahren diese von den Bürgern mehr Akzeptanz), weg von der einseitigen Sparpolitik hin zu mehr Wachstumspolitik und eine Neuregelung im Umgang mit Flüchtlingen. Die Europäer haben zum Großteil
nicht Rechts gewählt, weil sie rechtsradikal sind, sondern weil die etablierten Parteien ihre Interessen nicht vertreten haben und eine herbe Enttäuschung waren. Europa hat Protest gewählt.

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